Reise in eine andere Galaxie

René Spandauw, Cheftrainer in Grünberg, besucht Ex-Schützling Marie Reichert in den USA / Unbegrenzte Möglichkeiten

Freudiges Wiedersehen: (von links) René Spandauw mit Marie Reichert und Coach Keith Freeman. (Foto: Spandauw)

GIESSEN (chn). „Das ist eine völlig andere Welt“, fällt René Spandauws (61) Urteil eindeutig aus. Der niederländische Basketballtrainer, der in Marburg lebt und in Grünberg als Cheftrainer des Basketball-Internats (BTI) sowie der U18-Bundesliga-Auswahl (WNBL) des Teams Mittelhessen fungiert, war – noch vor den Corona-Wirren – in den Vereinigten Staaten. An der Old Dominion University in Norfolk (Virginia) besuchte er eine hessische Spielerin und einen alten Freund, um sich einmal mehr ein Bild vom College-Basketball auf der anderen Seite des Großen Teichs zu machen.

Anlass für Spandauws Trip in die USA war, dass mit Marie Reichert eine ehemalige Spielerin der Bender Baskets Grünberg und des Teams Mittelhessen seit vorigem Sommer – im Rahmen eines vierjährigen Stipendiums – an der Old Dominion University studiert und für die dortigen „Lady Monarchs“ in der College-Liga NCAA (Division I) auf Korbjagd geht. Mit dem nun eingeschlagenen Weg der gebürtigen Kasselerin, die Mitte April ihren 19. Geburtstag feiert, hatte Spandauw als Trainer unmittelbar zu tun: „Sie hatte mich irgendwann mal gefragt, ob ich ihr helfen kann, einen Platz an einem US-College zu bekommen. Ich hatte das davor schon für ungefähr 35 andere Spielerinnen gemacht. Der Kontakt wurde von den Coaches der Uni aufgebaut und als die Gespräche vielversprechend liefen, hat sie sich alles gemeinsam mit ihren Eltern vor Ort angeschaut. Nach dem Besuch, der von der University übrigens komplett gezahlt wurde, hat sie sich entschieden, das Angebot anzunehmen.“

René Spandauw ist in den Staaten bestens vernetzt, war dort selbst als Trainer unterwegs: Etwa im Jahr 1998, als er beim WNBA-Club Charlotte Sting hospitierte. Für den amerikanischen Frauen-Profiklub agierte der Basketball-Enthusiast zudem in den beiden folgenden Jahren als Talentsichter in Europa. In der Saison 2003/04 arbeitete er zudem als Co-Trainer an der University of Southern Mississippi.

Ein Trainer, den Spandauw aus früheren Zeiten kennt, ist Keith Freeman, der an der Old Dominion University als „Associate Head Coach“, einer von zwei Cheftrainern, arbeitet. Spandauw und er sind schon fast 30 Jahre befreundet. „Er sagte die ganze Zeit, ich solle ihn mal besuchen. Jetzt habe ich die Einladung gerne angenommen. Selbstverständlich auch mit der Absicht, um Marie spielen und trainieren zu sehen und um einen Einblick zu bekommen, wie es derzeit in den USA läuft – im Grunde war es eine Art Fortbildung“, berichtet Spandauw, der derzeit neben seinen Basketball-Engagements in Grünberg auch noch als Trainer der deutschen U15-Nationalmannschaft der Mädchen tätig ist.

Die „Fortbildung“ beeindruckte den sympathischen Niederländer, der den Basketball in den Vereinigten Staaten gut kennt, einmal mehr. Augenzwinkernd resümiert er: „Eigentlich wird man depressiv. Wenn man die Umstände mit denen in Deutschland vergleicht. Wie die da arbeiten und wie wir hier arbeiten: Das sind unterschiedliche Welten, unterschiedliche Galaxien. Da wird aber auch sehr viel mehr Geld investiert, man kann es sich im Grunde nicht vorstellen.“

Für Auswärtsspiele, so Spandauw, könne das NCAA-Team aus Norfolk etwa auf ein Charterflugzeug zurückgreifen, um die weiteren Distanzen mühelos zu bewältigen. „Außerdem trainieren die Mädels in einer Halle, die 24 Stunden pro Tag ausschließlich für die beiden Basketballteams der Uni, also auch für die Männer verfügbar ist. In dieser Halle sind vier fest installierten Kameras, die jedes Training aufzeichnen. Der Videokoordinator steht mit einem Laptop am Spielfeldrand und kann Szenen aus dem Training sofort auf einem Großbildschirm an der Wand der Halle zeigen“, berichtet der Wahl-Hesse von Verhältnissen, die nicht einmal jeder deutsche Männer-Bundesligist vorzuweisen hat.

Ihre Heimspiele bestreiten die Teams in der Chartway Arena, einer Halle, die 8700 Zuschauer fasst. Auch die Zuschauerzahlen sprechen für sich: Rund 3000 Gäste tummeln sich regelmäßig auf den Rängen der „Lady Monarchs“, die auch über einen eigenen Kraftraum und insgesamt vier Coaches verfügen. Hinzu kommen der besagte Videokoordinator, eine Sekretärin, sowie ein Physiotherapeut und ein Krafttrainer – allesamt beschäftigt mit nur diesem einen Team.

Klar, dass bei solchen Rahmenbedingungen auch Leistung von den Spielerinnen – die in der Woche maximal 20 Stunden in ihr Training investieren dürfen – abverlangt wird. „Ich war sechs Tage da und habe es in sechs Tagen nicht einmal geschafft, mit Marie einen Kaffee zu trinken – einfach, weil ihr Programm mit Studium und Basketball so voll ist, dass kaum Zeit bleibt für andere Sachen. Wir hatten aber natürlich mehrere Gespräche, das war aber immer vor oder nach Training oder Spiel. Ich habe aber gesehen, dass sie sich dort wohlfühlt, und bin mir sicher, dass sie nächste Saison einen weiteren Sprung nach vorne machen wird. Vor allem, wenn sie sich noch besser eingelebt hat“, skizziert René Spandauw, der für sich ebenfalls den einen oder anderen Spielzug oder Trainingsansatz mitnehmen konnte. Bei allen Schwärmereien käme für Spandauw, der sich in Grünberg trotz anderer Strukturen sehr wohlfühlt, eine Rückkehr in die USA nicht mehr in Frage: „Ich habe da gelebt und gecoacht, ich weiß, wie das ist. Es ist etwas, das ich mal als Spieler wollte. Das ist mir nicht gelungen. Jetzt möchte ich es aber nicht mehr machen. Das Leben dort ist völlig anders, es herrscht unheimlich viel Druck. Du bist gezwungen, etwas zu leisten. Das soziale Leben, der soziale Schutz, so wie wir das in Deutschland kennen, ist dort so nicht vorhanden. Aber wenn du den Sport unangefochten an erster Stelle setzt, ist es das Beste, das du machen kannst.“

Talentierten Spielerinnen wie Marie Reichert hilft René Spandauw darum gerne über den Atlantik: „Es gehört für mich zu meinen Aufgaben am Grünberger BTI, dass wir mitverantwortlich sind für die Karrieren der Spielerinnen – und versuchen, zu helfen, auch wenn ihre Zeit hier in Grünberg zu Ende ist.“

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Quelle: Gießener Anzeiger, Ausgabe 1. April 2020